Porträt

 


INTERPRET DER LITERATUR
Ulrich Ritter ist ein vielseitiger Künstler

Süddeutsche Zeitung
16. April 2002

Wer in einem "Haus der Kunst" aufwächst wie Ulrich Ritter wird Künstler - beinahe zwangsläufig. Ulrich Ritters Vater war der bedeutende Expressionist Martin Ritter. Die Patentante, die ebenfalls im Haus der Ritters wohnte, war Pianistin. Ulrich Ritter selbst schlug eine andere künstlerische Richtung ein. Mit 17 Jahren ging er an die Schauspielschule, übrigens gegen den ausdrücklichen Willen seines Vaters. Anschließend studierte er Philosophie, Geschichte und Literatur.

Diesen Spagat "zwischen dem Leben eines Künstlers und eines Intellektuellen" hielt Ulrich Ritter nicht lange durch. Als er in den 70er Jahren nach Berlin kam, hatte er sich zu einer Entscheidung durchgerungen: Er wollte "weg von der Geisteswissenschaft, hin zum Künstler". Danach folgten unzählige Auftritte in großen und kleinen Theatern.

In den 80er Jahren kam dann "die große Wende". Ritter begann für den Rundfunk zu sprechen. Über den Äther transportierte Ritters Stimme alles von Kindergeschichten über Features bis hin zu Lyrikvorträgen. Später folgten Hörbücher wie 'Der schwarze Steuermann' von Joseph Conrad.

Heute fächert sich Ulrich Ritters künstlerisches Schaffen in literarischen Belangen in drei Bereiche auf: Er ist Dozent für Vortragskunst, Darsteller und Interpret. Die Kardinalfehler beim Vortrag, wie er sie in Kirche, Medien und Politik tagein tagaus erlebt und erleidet, begeht Ritter nicht. Der geschliffene Rhetoriker ist nicht der Mann, der Texte durch Monotonie erschlägt. Ganz im Gegenteil: "Es geht immer um die Darstellung." Erst mit ihr entsteht "in der Petrischale der Literatur" der eigentliche Inhalt eines Textes. Besonderen Augenmerk legt Ritter auf die Kunst der Interpretation, die im eigentlichen Wortsinne darin besteht, "den Wert zwischen den Zeilen zu heben".

Bei seiner Lesung am heutigen Dienstag um 20 Uhr in der Baldhamer Buchhandlung A&P liest er aus 'Goethes Geliebte', einer Zusammenstellung von Goethes Liebesgedichten aus all seinen Lebensabschnitten. Eine Lesung im eigentlichen Sinne soll dieser Abend aber nicht sein. Ulrich Ritter nennt es doch lieber ein "Spiel vom Blatt".

GEORG SCHIEGL