IM BANN DER BILDER

 


Packende literarische Lesung mit Ulrich Ritter

Süddeutsche Zeitung
19. April 2002

Vaterstetten.
Der fasziniernenden, vielseitigen Stimme Ulrich Ritters in die Träume anderer folgen und sie mit allen Sinnen erleben. Sich vom Zauber Asiens in den Bann schlagen lassen und riechen, wie in den staubigen, mit quirligem Leben erfüllten Straßen Indiens orientalische Düfte durcheinander wabern. Miterleben, wie das gespannte Warten in der sengenden Hitze in Erleichterung übergeht, wenn die ersten Monsunregen Menschen und Natur Abkühlung bringen.

  Ulrich Ritter

Liest große Literatur mit
großartiger Interpretation:
Ulrich Ritter in der Baldhamer
Buchhandlung 'AP Buch'.
Foto: Schmidt

Ihren Körper in Baldham zurücklassend, ließen sich die Gäste der Lesung in der Baldhamer Buchhandlung 'AP Buch' mit ihrem inneren Auge entführen in die Welten dreier bekannter Dichter. Bilder voller Farben beschwor der Vaterstettener Künstler, Philosoph und Autor mit dem Rhythmus der Worte aus Bernd Schillers 'Vom Zauber Asiens'.

Kaum hatte der Künstler die Zuhörer mit den Bildern vom orientalischen Leben für sich gewonnen, wechselte er zu den Novellen 'Der schwarze Steuermann' und 'Jugend' von Joseph Conrad. Man konnte das Salzwasser förmlich riechen, die Segel knattern und die Taue knarzen hören, als Ritter die aufwühlende Geschichte des Seemanns interpretierte. Virtuos las er die Untertöne zwischen den Zeilen und lies die Zuhörer atemlos lauschen.

Erleichtertes Aufatmen erlaubten die Gäste sich, als Ritter zum dritten Teil des Abends überging und den Sprung vom Abenteuerbericht zu inneren Bildern vollzog. Als einen Dichter, der sein ganzes Leben lang liebte, charaktisierte Ritter Johann Wolfgang von Goethe, aus dessen Briefen, Tagebüchern und Versen sich dieser letzte Teil zusammensetzte. Mal überschwänglich und voller Begeisterung über eine neue Liebe, mal dämonisch, wütend, die Liebe verfluchend, rissen die Worte des Dichters mit.

Virtuos und ohne merklichen Übergang schlüpfte Ritter einmal in die Rolle des Dichters, dann wieder in die der betrogenen Geliebten. Er ließ seine Zuhörer alle Gefühlsschwankungen, sämtliche Höhen und Tiefen miterleben. Nicht den schummrig erleuchteten Tisch des Lesenden und die vertraute Umgebung der Buchhandlung hatten sie vor Augen, sondern die widerstreitenden Emotionen der geschilderten Personen.

Bis zum Schluss hielt Ritter sein Publikum in Atem, bis er sie mit dem letzten Satz schwer seufzend aus dem Gefühlschaos entließ. Überzeugt, dass die Worte Goethes, die Ritter gelesen hatte, viel Wahres enthalten: "Der Mensch weiß wenig, am wenigsten von sich selbst."

KATHARINA TEIMER