'SPALIEROBST SOLLT IHR WERDEN'

 


Sommerakademie in Böhlen mit einem Erich Kästner-Vortrag
von Ulrich Ritter

Thüringer Allgemeine
06. Juni 2001

Böhlen.
Für ein volles Haus am Pfingstmontagabend in Böhlens Thüringischer Sommerakademie sorgten die Teilnehmer der gegenwärtig laufenden Malkurse, aber auch Einheimische, die zur Erich Kästner-Lesung kamen. Das 4. Mal weilte Ulrich Ritter, der Darstellende Kunst, Philosophie und Literatur studiert hat, in München und Berlin lebt und als freischaffender Interpret, Regisseur und Autor für Funk und Fernsehen arbeitet, in Böhlen. Ein geplanter Kurs über Vortragskunst kam diesmal nicht zustande, wohl aber ein Vortragsabend mit dem Interpretationskünstler. Sein Thema: 'Muttersohn im Vaterland' war Erich Kästner gewidmet. Als eine Fundgrube deutscher Befindlichkeiten bezeichete Ulrich Ritter das Werk Kästners, der in drei sehr unterschiedlichen deutschen Städten lebte und von diesen auch geprägt wurde.

Sächsische Grundform, Berliner Witz und Münchner Verspieltheit - das konnten die Zuhörer im exzellenten Vortrag, der eigentlich eine Bühnenshow mit Tonkulissen ist (sie konnte wegen des großen technischen Aufwandes leider nicht zum Einsatz kommen), live erleben. Wie ein kunstfertiger Perlenfädler reihte Ulrich Ritter die Kästner'schen literarischen Perlen übergangslos auf und ließ die Zuhörer am vergnüglichen Tun teilhaben. Was sich beim amüsierten Zuhören festhakte, waren die Metaphern, welche auf den Lebenssinn und die Lebenslust zielten. Hier hatte der Interpret eine geschickte Wahl getroffen, um den Spannungsfaden nicht abreißen zu lassen.

Die Reflexionen Kästners über Kindheit und Schule waren Köstlichkeiten für sich: 'Ich war ein patentierter Musterknabe..., ich setze mich gern zwischen Stühle..., das Wertvollste im Leben ist die Kindheit.' 'Früchtchen seid ihr', läßt Kästner den Lehrer sagen, 'Spalierobst sollt ihr werden!' 'Nur wer erwachsen wird und ein Kind bleibt, ist ein Mensch', meint der Dichter und bemerkt, dass es die einfachsten Dinge seien, die so schwer begreiflich zu machen wären. Über Dresden - bei der Schilderung Kästners, wie er die ausgetilgte Stadt nach dem Bombenangriff erlebte, stockte dem Publikum der Atem - sang der Dichter Lob- und Trauerlieder, die Ulrich Ritter mit großem Einfühlungsvermögen wiedergab.

Eine Köstlichkeit reichte der Interpret mit einem der beiden in sächsisch vorgetragenen sächsischen Sonette dar, ehe er mit der zweiten Zugabe, den 'atmosphärischen Konflikten', die Show beendete.